🇩🇪 Karneval: Die andere Seite der deutschen Kultur

Es herrscht oft das Klischee, dass Deutsche wenig zum Spaß geneigt sind. Wenn man sich gängige interkulturelle Theorien anschaut, ist das durchaus nachvollziehbar.

Deutschland wird oft durch ein Set von Kulturdimensionen charakterisiert, die auf den ersten Blick ein Bild von Strenge und Reserviertheit malen. Diese Dimensionen umfassen unter anderem eine tiefe Sachorientierung, die sich in einer starken Fokussierung auf Fakten, Effizienz und Produktivität im beruflichen, wie im privaten Leben zeigt. Diese Orientierung führt zu einer Kommunikationsweise, die direkt und zweckmäßig ist, wobei wenig Raum für Small Talk oder oberflächliche Konversationen bleibt.

Zudem zeichnet sich die deutsche Kultur durch eine ausgeprägte Regelkonformität aus. Regeln, Normen und Strukturen bilden das Rückgrat des gesellschaftlichen Zusammenlebens und garantieren Ordnung und Zuverlässigkeit. Diese Regelgebundenheit ist in vielen Lebensbereichen sichtbar, von der strikten Einhaltung von Verkehrsregeln bis hin zu genau definierten gesetzlichen Vorschriften im Berufsleben.

Ein weiterer Aspekt ist die Zurückhaltung in der Emotionsdarstellung. Deutsche gelten als reserviert, insbesondere im Vergleich zu südlicheren Kulturen, in denen eine offenere Darstellung von Gefühlen üblich ist. Diese emotionale Reserve wird oft missverstanden als Kälte oder Desinteresse, entspringt jedoch einem tief verwurzelten Respekt vor der Privatsphäre und der persönlichen Grenze des Gegenübers.

Doch wer zur Karnevalszeit bestimmte Regionen Deutschlands besucht, wird schnell eines Besseren belehrt. Man könnte sich fragen, ob interkulturelle Theorien hier nicht an der Wirklichkeit vorbeigehen.

Die Frage, warum sich Deutsche ausgerechnet an Karneval so untypisch verhalten, lässt sich nicht einfach beantworten. Meine persönliche Interpretation ist, dass Karneval eine Art Ventil für die sonst so strukturierte und regelgeleitete deutsche Gesellschaft darstellt. Während des Jahres dominieren Effizienz, Pünktlichkeit und eine gewisse Ernsthaftigkeit den Alltag. Doch der Karneval bietet einen klar definierten Zeitraum, in dem diese sozialen Normen temporär außer Kraft gesetzt werden.

Diese temporäre Auszeit von der Norm gibt den Menschen die Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen und Aspekte ihrer Persönlichkeit zu erkunden, die im Alltag keinen Platz finden. Es ist, als würde der Karneval einen sicheren Raum bieten, in dem experimentiert, übertrieben und gespielt werden darf. Hierbei spielt auch das kollektive Erlebnis eine Rolle: Indem alle teilnehmen und sich verkleiden, wird eine gemeinschaftliche Atmosphäre geschaffen, die es leichter macht, sich dem Strom der Ausgelassenheit zu überlassen.

Zudem könnte die historische Entwicklung des Karnevals eine Rolle spielen. Karneval hat seine Wurzeln in heidnischen Festen, die den Winter austreiben und den Frühling begrüßen sollten. Diese traditionelle Verbindung zum Zyklus der Natur und die damit verbundene Feier des Lebens und der Erneuerung könnten dazu beitragen, dass sich die Menschen mehr erlauben, ihre sonst zurückgehaltenen Emotionen und Bedürfnisse auszudrücken.

Was haben der deutsche Karneval und Frankreich gemeinsam?

Eine interessante Parallele zwischen dem deutschen Karneval und Frankreich ist die Bedeutung der Zahl „11“. Am 11.11. um 11:11 Uhr beginnt offiziell die fünfte Jahreszeit. Die Herkunft der Zahl „11“ ist vielfältig interpretierbar, aber eine besonders faszinierende Erklärung findet sich in der französischen Geschichte. Im Zuge der Französischen Revolution von 1789 wurde die Elf als Symbol der Forderungen des französischen Bürgertums – Gleichheit (Egalité), Freiheit (Liberté) und Brüderlichkeit (Fraternité) – verstanden. Zudem ist die Elf als Schnapszahl prädestiniert für den karnevalistischen Frohsinn.

Der Begriff „Karneval“ leitet sich übrigens vom lateinischen „carne vale“ ab, was so viel wie „Fleisch, lebe wohl“ bedeutet. Dies unterstreicht den Ursprung des Festes als eine Zeit des Ausschweifens vor der beginnenden Fastenzeit.

In diesem Sinne: Alaaf, Helau und bei mir in der Gegend: Hei her – do her.

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